16. Dezember 2024
KI ist im Recruiting noch nicht wirklich angekommen
Bildquelle: KI-generiert via Adobe Firefly
Künstliche Intelligenz ist beim Schreiben von spezifischen Textsorten eine grosse Hilfe. Das gilt für die Arbeitgeber: Mit ChatGPT und Co. lassen sich gut formulierte, attraktive Stelleninserate erstellen. Aber auch viele Stellensuchende nutzen bereits KI: Sie lassen ChatGPT ihren Bewerbungsbrief oder ihr Motivationsschreiben erstellen. Gemäss dem Stellenvermittler Randstad ergab eine Studie in Deutschland, dass bereits «72 % der Bewerber im Oktober 2023 generative KI in ihren Bewerbungen verwendeten».
Gefüttert mit den richtigen Stichworten aus dem Stelleninserat sind schnell schöne, grammatikalisch korrekte Briefe geschrieben. Da aber auch die Recruiter wissen, dass häufig eine KI den Brief geschrieben hat, wird dieser nicht mehr allzu lange wichtig sein. Man kann auch als Laie die Prognose wagen: Das Motivationsschreiben verliert tendenziell an Gewicht. Die SBB zum Beispiel verzichtet bereits heute auf Motivationsschreiben.
Automatisierte Abläufe
Wer täglich Hunderte oder Tausende von Bewerbungen erhält, kann das schon lange nicht mehr von Hand bewältigen. Bewerbungen werden automatisiert mit einem Bewerbermanagment-Tool entgegengenommen und nach verschiedenen Kriterien sortiert und abgelegt.
Bewerberinnen und Bewerber profitieren zumeist von solchen technischen Lösungen, da der Ablauf schneller ist und sie z. B. automatisch eine Eingangsbestätigung erhalten.
KI kommt ins Spiel, wenn nicht nur quantitative Kriterien berücksichtigt werden («Sind alle nötigen Attachments eingereicht?» « Fehlt ein Arbeitszeugnis?» etc.). Intelligente Systeme können die Lebensläufe «lesen» und auf wichtige Schlüsselwörter hin absuchen, z. B. «Hat der Kandidat den nötigen Fachtitel?» «Spricht die Kandidatin Französisch auf Niveau B2 oder höher?»).
Problematisch hierbei ist, dass z. B. Quereinsteigerinnen oder Menschen aus dem Ausland mit anderen Diplomen nicht den Kriterien entsprechen und deshalb schlechtere Chancen haben. Programmiert man den Algorithmus auf weitere Kriterien, wird es noch heikler: Geschlecht, Nationalität, Alter etc. sind fragwürdige Ausschlusskriterien, die eigentlich nicht zulässig sind.
Besonders kritisch eingestuft wird allgemein, wenn der ganze Selektionsprozess ausschliesslich via KI gesteuert und entschieden wird. Im Gegensatz zur Schweiz verbietet die europäische Datenschutz-Grundverordnung explizit Entscheide, die nur von Algorithmen ohne menschliches Zutun getroffen werden.
Was ist in der Schweiz bereits im Einsatz?
Die Haupterkenntnis der neuen Arbeitsmarktstudie «Rekrutierungspraxis im Kontext von Fachkräftemangel und KI», die von HR-Today und von Rundstedt Mitte November veröffentlicht wurde, lässt sich so zusammenfassen: KI ist im Recruiting noch nicht wirklich angekommen. Alle sind sich einig, dass ein grosses Nutzungspotenzial besteht. Aber nur 11 % der 936 befragten Schweizer HR- und Führungspersonen geben an, KI ernsthaft einzusetzen.
Potenzial sehen die meisten bei der Suche nach Kandidaten (76 %), beim Bewerbermanagement (75 %) und bei der Vorselektion geeigneter Bewerberinnen und Bewerber (64 %). Nur gerade 14 % hingegen können sich vorstellen, dass die definitive Auswahl des Kandidaten oder der Kandidatin durch eine KI getroffen wird.
Vereinzelt setzen die Firmen KI-basierte CV Screening Software (13 %) und digitale Matching-Instrumente (10 %) ein. Am ehesten nutzen die grossen Firmen Plattformen, die digitale Job-Interviews von Bewerbern abspeichern. Diese Videos werden aber ganz selten mit KI analysiert (3 %).
Datenschutz unklar
Wieso Schweizer Firmen erst vereinzelt KI im Rekrutierungsprozess einsetzen, hat verschiedene Gründe: Geeignete Applikationen sind teuer und die Programmierung einer eigenen passenden Software ist in kleinen und mittelgrossen Firmen keine Option. Vorsichtig sind HR-Leute zum Glück auch, weil sie im Recruiting mit sensiblen Daten zu tun haben. Was KI-Tools mit den Daten machen, ist zum Teil unklar. Und wie KI eingesetzt werden dürfen, ist ebenfalls noch nicht geklärt. In der Schweiz fehlt eine verbindliche KI-Regulierung.
Die Bedenken von HR-Leuten sind gemäss verschiedenen Umfragen also ganz ähnlich wie diejenigen der Bewerberinnen und Bewerber: Das Misstrauen äussert sich vor allem in der Angst vor (unbewussten) Diskriminierungen und beim Datenschutz. Stellensuchende haben also vorerst weiterhin mit Menschen zu tun, wenn sie sich auf eine neue Stelle bewerben. So schnell wie sich die digitale Welt dreht, kann sich das aber bald ändern.
Quelle: HR Research "Rekrutierungspraxis" - von Rundstedt