15. Mai 2023
«Ich muss mich immer wieder neu beweisen»
Bild: Juri Lanz (Andrina Sarott, Fachspezialistin Kommunikation)
Juri Lanz ist gelernter Zimmermann EFZ, 24 Jahre alt. Bis sein nächster Zivildiensteinsatz im Sommer startet, arbeitet er temporär. Nicht zum ersten und wohl auch nicht zum letzten Mal. Er schätzt die Flexibilität und Unkompliziertheit: «Ich mach einen Telefonanruf bei meinem Personaldienstleister, sage, was für mich in Frage kommt, und habe nach 2-3 Tagen Arbeit.»
Lanz kam schon während seiner Lehre in Kontakt mit Kollegen, die temporär arbeiteten. Er kennt die Vorurteile – «es gibt ja wohl Gründe, weshalb du nur ein ‹Tempi› bist» – und unterdessen weiss er auch, welche Einsatzfirmen ihre Temporären anständig behandeln. «Viele Firmen sind froh, wenn sie Ausgelernte finden, die Deutsch sprechen und richtig arbeiten können», sagt er. Bei seinem letzten Einsatz, der drei Monate dauerte, sei das Verhältnis sehr kollegial gewesen und der Chef hätte ihm zum Schluss eine Festanstellung angeboten.
Sozial abgesichert dank Gesamtarbeitsvertrag
Auf dem Bau und in der Industrie sind temporäre Arbeitsverhältnisse seit Langem üblich. Temporärarbeit bzw. Personalverleih basiert auf einem Dreiecksverhältnis. Der Arbeitnehmer schliesst einen Vertrag mit einem Personaldienstleister oder Temporärbüro, dieses «leiht» die Arbeitskraft an den Einsatzbetrieb. In den letzten 10 Jahren stieg die Nachfrage für Temporärabeit kontinuierlich auch in vielen Dienstleistungsbranchen, wie swissstaffing, der Arbeitgeberverband der Personaldienstleister, schreibt.
Generell steigt das Interesse an flexiblen Arbeitsmodellen im Arbeitsmarkt. Im Vergleich zu anderen Formen der «Flexarbeit» – Arbeit auf Abruf, Selbständigkeit, Festanstellung mit mehreren kleinen Arbeitspensen – ist Temporärarbeit sozial relativ gut abgesichert dank dem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) Personalverleih. Dieser GAV ist der grösste in der Schweiz, über 400‘000 Menschen sind ihm unterstellt.
Der GAV für die Temporärarbeitenden enthält Angaben zu den Mindestlöhnen inkl. Anteile am 13. Monatslohn, Ferien etc., regelt die Arbeitszeit, die berufliche Vorsorge (ab dem 1. Tag möglich, ab der 13. Woche zwingend) und beinhaltet eine Krankentaggeldversicherung. Zudem verfügt er über den Weiterbildungsfonds «temptraining», von dem Angestellte profitieren können mit Zuschüssen für Ausbildungen und Entschädigungen für Lohnausfall.
Imageproblem: Arbeiter zweiter Klasse?
Wieso haben trotz all dieser positiven Regelungen viele Leute eine eher ablehnende Haltung gegenüber Temporärarbeit? Raphael Müller, heute Berufs-, Studien- und Laufbahnberater in Ausbildung bei ask!, sagt: «In meinem Lehrbetrieb nahmen wir die Temporären eher als Arbeiter zweiter Klasse wahr, häufig waren diese auch nicht sehr motiviert. Doch wenn ich zurückdenke, gab man ihnen in diesem Betrieb nicht wirklich die Chance zu überzeugen.» Juri Lanz sagt: «Man muss gut aufpassen, damit man nicht abgezockt wird.» Wichtig sei es, Arbeitsstunden genau aufzuschreiben und Abrechnungen zu kontrollieren.
Überstunden respektive deren korrekte Auszahlung ist der häufigste Streitpunkt in fast allen Branchen, was nicht überrascht. Arbeitgeber setzen Temporärkräfte dann ein, wenn viel Arbeit vorhanden ist und Überstunden der Normalfall sind. In Branchen wie der Gastronomie und Hotellerie, die stark saisonal ausgerichtet sind, sei dies ein Dauerthema, sagt Cornelia Limacher, langjährige Laufbahnberaterin bei ask!: «Die maximalen Arbeitszeiten werden (zu) oft überschritten.»
«Fast wie eine Weiterbildung»
Viele verschiedene Arbeitseinsätze bedeuten für die Temporären, dass man immer wieder der oder die Neue im Betrieb ist. Damit muss man umgehen können. «Weil ich noch jung bin, wird mir ständig gesagt, was man wie macht», sagt Lanz, «ich muss mich immer wieder neu beweisen» – das sei anstrengend, aber auch spannend. «Für mich ist es fast wie eine Weiterbildung: Diese Firma macht das Dach so, die andere ein bisschen anders; ich lerne laufend etwas dazu.»
Lanz wehrt sich aber auch, wenn ihm etwas nicht passt: «Wenn etwas nicht Suva konform ist, sage ich es», denn er weiss, dass er in einer guten Verhandlungsposition ist: «Ich kann sagen: ‹Sonst gehe ich wieder›.» Ein gesundes Selbstbewusstsein ist in einem solchen Fall von Vorteil, denn laut Suva ist der Start einer neuen Arbeit mit Risiken verbunden: «Neue Mitarbeitende – dazu gehören auch Temporärarbeitende – haben ein rund fünfzig Prozent höheres Unfallrisiko. Besonders betroffen ist die Baubranche.»
Chance für einen Neuanfang
Für junge Menschen, die sich noch nicht festlegen wollen, liegen die Vorteile einer Temporärbeschäftigung auf der Hand. Eine befristete Anstellung kann aber auch für andere Stellensuchende interessant sein, weiss Cornelia Limacher. «Bei älteren, erwerbslosen Arbeitnehmenden kann diese Anstellungsform eine Chance auf dem Weg zu einem festen Anstellungsverhältnis sein.»
Auch swissstaffing betont diesen Aspekt: «Ein Temporärjob ist besser als jedes Vorstellungsgespräch. Man kann zeigen, was man kann, und hat zudem die Möglichkeit herauszufinden, ob man ins Team passt.» Denn aus jedem Temporärjob kann eine Festanstellung werden. Verträge, die einen solchen Übertritt verbieten, sind gemäss Arbeitsvermittlungsgesetz verboten und ungültig.