25. April 2023

Ohne Nachwuchs keine Fachkräfte

Nicht eine einzige Bewerbung! Werden Lehrstellen nicht besetzt, fehlt es später an Fachkräften. Sechs Betriebe an der Lehrstellenbörse geben Auskunft, wie sie die Situation erleben.
Autor/in: Nadja Böller, Fachspezialistin Kommunikation
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Die Firma Meier Druck AG aus Baden ist im März 2023 das erste Mal an der Lehrstellenbörse. «Wir haben die letzten 25 Jahre keine Probleme gehabt, die Lehrstelle als Medientechnologe / Medientechnologin Fachrichtung Printmediatechnik zu besetzen. Es ist das erste Jahr, in dem sich niemand gemeldet hat», stellt Geschäftsführer Mario Delvecchio fest. Ähnlich ist es für Elena Baiocchi, Leiterin der Kinderkrippe Kolibri in Baden. Sie hat keine einzige Bewerbung für die Lehrstelle als Fachfrau/-mann Betreuung für August bekommen. Das Bild widerspiegelt die Situation auf dem aktuellen Arbeitsmarkt: Laut Fachkräftemangel Index 2022 erreichte der Fachkräftemangel letztes Jahr einen historischen Rekordwert.

Berufsmarketing

Die Gründe für die fehlenden Bewerbungen sind vielfältig. Für das Recyclingunternehmen Thommen Group liegt das Problem darin, dass viele das Berufsbild Recyclist/in nicht kennen. «Imagekampagnen haben für uns hohe Priorität. Wir gehen an Schulen, sind auf Social Media präsent und bieten Betriebsbesichtigungen an», betont Christina Kimmig, zuständig für den Bereich Aus- und Weiterbildung bei der Thommen Group in Regensdorf. Maurizio Giovanelli ist beim Bauunternehmen Cellere in Birr für die Lernenden Maurer/innen und sein Kollege Sämi Plüss für die Strassenbauer/innen verantwortlich. Er stellt fest, dass viele Jugendliche mit der Fülle des Angebots an Lehrberufen überfordert sind und falsche Vorstellungen haben. «Meine Aufgabe ist es, das bei den Jugendlichen vorhandene Bild des Berufs abzuholen und allenfalls zu korrigieren.»

Gegenseitige Erwartungen klären

Insbesondere das Bau- und Gastgewerbe steht vor einer schwierigeren Lehrstellensituation als in früheren Jahren. Im Baugewerbe blieben gemäss Lehrstellennachweis im Kanton Aargau Ende Juli 2022 70 Prozent der Lehrstellen unbesetzt, im Gastgewerbe waren es rund 30 Prozent. Die Bethesda Alterszentren Ennetbaden legen bei der Auswahl der Lernenden viel Wert auf den persönlichen Kontakt während den Schnuppertagen. Jan Gassen, Gastronomischer Leiter, bildet Köchinnen und Köche aus: «Es braucht Wille und Leidenschaft, sich auf den Beruf einzulassen. Die Motivation sehe ich schon, wenn jemand zur Tür hereinkommt. Ich bin ehrlich mit den Jugendlichen und sage ihnen von Anfang an, was wir erwarten.» Dass die Jugendlichen falsche Erwartungen an eine Lehrstelle mitbringen, betont auch Brigitte Lötscher, Bildungsverantwortliche Pflegefachfrau/-mann HF: «Im Pflegeberuf zu arbeiten, beinhaltet einiges mehr, als die Erfahrung, die sie bei der Unterstützung der Grosseltern zu Hause gemacht haben.» Sven Schweizer, Lernender Strassenbauer im 2. Lehrjahr bei Cellere, hat seine Lehrstelle vor zwei Jahren an der Lehrstellenbörse gefunden. Seine Erwartungen haben sich erfüllt: «Ich wollte etwas, wo ich sehe, was ich mache und mich neben der kopflastigen Schule auspowern kann. Strassenbauer ist genau das Richtige für mich.»

Begeisterung weitergeben

Auch wenn die Situation angespannt ist, spürt man bei allen Lehrbetrieben die Begeisterung für ihre Ausbildungsberufe. Elena Baiocchi von der Kinderkrippe Kolibri bringt es auf den Punkt: «Alles ist spannend bei der Arbeit in der Kinderkrippe. Es ist jeden Tag anders, nie wird es langweilig. Es ist manchmal anstrengend, aber wenn man sieht, wie sich die Kinder entwickeln, ist das ein Erfolg für uns. Das feiern wir!»

Lernende sind die zukünftigen Fachkräfte

Viele Jahre konnte die Lücke beim Fachkräftemangel durch Zuwanderung geschlossen werden. Der steigende internationale Wettbewerb erschwert dies jedoch zunehmend. Der Fachkräftemangel Index fordert deshalb Massnahmen, um inländische Talente für die Berufe mit Fachkräftemangel zu faszinieren, auszubilden und in den Berufen zu halten. Der Lernende Sven Schweizer möchte nach Lehrabschluss zuerst Militärdienst leisten und sich danach im Strassenbau weiterbilden. Das freut die Baufirma Cellere. Auch das Logistikunternehmen Rhenus in Spreitenbach, das aktuell fünf Lernende ausbildet, setzt alles daran, dass die Lehrabgänger/innen bleiben können. «Wir legen viel Wert darauf, dass sich die Lernenden wohlfühlen und viel Abwechslung haben. Wenn die Lernenden bleiben wollen, ist das unser grösster Erfolg. Sie sind unsere zukünftigen Fachkräfte», sagt Nicole Saladin, Leiterin Berufsbildung.

 

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